Innen und Außen

Durch den Innenhof schwankt summend eine Brise. Sie torkelt zwischen den cremefarbenen Wölkchen an den Enden der Äste vorbei und schließt ihr Fahrrad ab. Einige Pastellpollen lösen sich in kleine Wirbel und finden ihren Weg durch ein gekipptes Fenster.
Ihr Duft kribbelt in seiner Nase. Er ist noch weit entfernt von einer Ahnung. Im Traum pustet er den Schaum in Wolken davon.

Der Sturz

Der leichte Schwindel, der mich überkommt, weil ich seit Stunden rückwärts in Fahrtrichtung des ICs sitze, erinnert mich an das pure Glück als 12 jährige in einer Achterbahn zu sitzen, die sich ratternd auf den Höhepunkt Richtung Himmel schleppt, während meine Mutter am sicheren Boden steht und mit ihren Augen sagt: “Monatelang habe ich dich in meinem Bauch getragen, deine Knochen, deine Muskeln, deine Haut deine Nägel, deine Augäpfel, deine Zähne, jedes deiner Organe, alles an dir erschaffen und ernährt und beschützt, habe dich unter Schmerzen geboren, Habe dich begleitet und deine Stärken noch stärker gemacht, habe gekocht und gewaschen, habe dich getröstet und dir geholfen. Habe jahrelang deine Welt so schön gemacht wie ich nur konnte, damit du an Schönes gewohnt bist und dich immer wertvoll fühlst, immer. Und jetzt setzt du diesen meinen, nein deinen, aber eigentlich doch meinen Körper in dieses schreckliche, gefährliche, riskante Monster.”

Kurz vor dem besten Moment, dem Sturz in die Tiefe, denke ich, ich hätte ihr das ersparen sollen.

Dschungel

Orientierungslos vögeln wir uns durch den pulsierenden Dschungel unseres Alltags. Überall riecht es anders.  Wir ahnen die Gefahren. Hier und da flutscht es. Und dann plötzlich ist alles wieder viel zu hart, um sich draufzusetzen. Wir streben eine flexible Geschmeidigkeit an. Mit der Devise „Safety first“ versuchen wir immer wieder unsere Grenzen zu stärken. Triefende schwarze Löcher im Dickicht öffnen uns neue Wege, die es zärtlich zu beschreiten gilt. Ein verführerischer Wimpernschlag, ein Blutstrom, rauschende Seufzer und schon macht das Gegenüber alles, was wir wollen. Scham treibt uns die Ideen in unsere Köpfe, die dann auf dem Papier ihr eigenes Leben beginnen.

Wertvolle Sekunden

Das entspannte Urwaldplätschern der laufenden Spülmaschine mischt sich mit dem Sägegeräusch aus meinem Innenhof. Lautstark fällt ein neonorangefarbener Teufel im schmierigen goldbraunen Laub das letzte Grün. Es wird früher dunkel und selten wirklich hell. Meine Lippen sind trocken im Halbschatten des Nebels meiner Küche. Ein Ausschlag juckt mich. Ich habe noch den ganzen Tag vor mir. Eine Banane, einen Apfel, eine Birne, einpaar gefrorene Beeren und einen guten Schuß Ananassaft werfe und schütte ich in meinen Mixer und drehe auf. Während vor meinen Augen aus den knalligen Früchten ein grässlich brauner Brei entsteht, der schäumt und bröckelt, verliere ich wertvolle Sekunden. Der Mixer lacht mich voll. Ich lache zurück. Ich könnte diesen Winter so wunderbar verschwenden.

Striche auf der Haut

Der blassschwarze Strich wölbt seine Haut ihr entgegen. Die Farbe zittert. Ihr Verstand flimmert. Sie sehnt sich nach einer Schaukel, nach Boden, nach Fesseln, nach Züngeln im Tee, nach Luftanhalten. Mit gespitzten Lippen erwartet sie den Schlag. Der trifft sie unvorbereitet. Stöhnend stürzt das Dach in Zeitlupe zusammen und erübrigt sich. Genügt nicht und verzückt sich. Beschwipst sich und schickt sich und schickt sich überhaupt nicht.

Schreck

Als Anna vor Schreck über die Erkenntnis, dass sie dieses Hin und Her unbedingt  will, ihre Tasse mit Schwarztee und Milch und Zucker auf die Fliesen fallen lässt, klingt der Raum nach, als wäre eine Ohrfeige passiert. Die Flüssigkeit liegt in Splittern vor ihr und sie quält die Endgültigkeit der Situation.

Schauer

Als er seine Hand aus dem fahrenden Auto hält, ergießt sich ein greller Schauer über ihn. Ungeschönt drehen sich die Windräder, immer, immer. Der Mann am Steuer des LKW‘s neben ihm starrt ihn herausfordernd an. Der Totenkopf mit Rotwein am Anschlag lächelt wissend. Eine Perlenkette unberührter Neuwagen. Die Sträucher nuscheln vom Qualm. Sein Blut kocht über und er weiß, warum. Schilder, Schilder, Schilder. „Lass sie gehen“, denkt er. Die Wahrheit kribbelt in seinen Fingergelenken. Dann schließt er das Fenster.

Eine Frau sitzt neben ihm am Steuer. Er sieht sie kurz an, dann wieder geradeaus. Es ist völlig still. Das Motorengeräusch gibt es nicht. „Ich habe ihr einen Haufen Zeitschriften gekauft. Einpaar so richtig bescheuerte. Wo man nicht denken muss. Ablenkung“, hört er.  Er fühlt sich fiebrig. Seine Füße schwitzen. Er muss ihr sagen, dass seine Mutter jetzt keine Ablenkung braucht. Es ist unmöglich, sich von so etwas abzulenken. Erst recht nicht mit Diät-Tipps und Promi-Tratsch. Er muss ihr sagen, dass er das nicht mehr aushält. Alles. Und wie sie immer denkt zu wissen, was alle brauchen. Er presst die Lippen unsichtbar zusammen und atmet lang durch die Nase ein. Er wollte seiner Mutter einen sehr dicken Roman schenken. Das Ausatmen wäre zu laut. Also tut er es unauffällig in einer Bewegung. Er dreht sich nach hinten, wo auf dem Rücksitz eine lächerlich liebevoll gepackte Tüte steht. Er zieht eine Zeitschrift heraus und liest so lange, bis das Klicken des Blinkers ihn erschreckt. Sie nimmt die Ausfahrt. Er lässt sich gehen.

Bis zum Morgen

Ich kann die Seiten vor mir sehen. Ich weiß förmlich, wie sie aussehen werden, die Seiten, auf die ich morgen früh stolz sein werde. Ich kann sogar das Geräusch hören und die Vibration fühlen von dem warmen Kratzen des weichen Bleistifts auf dem gekörnten Papier. Kann die ausgeklügelten Geschichtenstränge sich flechtend erahnen. So dämmere ich ein. Mit dem Wissen von dem Potential in mir, und träume von Sex bis zum Morgen.

Tatendrang

Ungemütlich angetrunken vom bitteren Schwarztee beuge ich mich über die verstaubte Tastatur. Für einen Moment lang denke ich darüber nach, den Tee aus meinem Mund in die staubigen Ritzen zu spucken, um sie dann mit einem Taschentuch sauber zu wischen. Doch mir wird klar, dass mich Nässe im Inneren meines Laptops in eine tiefe Lebenskrise stürzen könnte. Das Beste, was ich tun kann ist also, alles so zu belassen.